Kyrill, Paula und Emma (18.1.2007, 27.1.2008,1.3.2008)

Die nicht von Schadensdokumentation abgedeckt sind.
Antworten
Exilfranke1

Sonntag 25. April 2010, 12:26

In Medienberichten des ORF werden die Stürme 'Kyrill', 'Emma' und 'Paula' hinsichtlich der Auswirkungen auf Österreich meist in einem Atemzug genannt. Streng genommen ist diese Reihung aus synoptischer Sicht unzulässig, da es sich bei 'Paula' um kein Sturmtief im engeren Sinne handelt, sondern die Orkanböen in Ost- und Südösterreich auf eine spezielle Art und Weise zustande kamen, die man bei den vorher genannten Orkantiefs nicht finden wird.

Orkan 'Kyrill' verursachte am 18.1.2007 und in der Nacht zum 19.1.2007 mit seiner durchziehenden Kaltfront verbreitet teils schwere Orkanböen. Schon im Warmsektor trat Föhnorkan auf. Bei Orkan 'Emma' am 1.3.2008 war es ähnlich, wobei am 2.3.2008 noch Sturm 'Fee' folgte (und 'Emma' nicht zwei Mal über Österreich hinwegzog). Sturm 'Paula' beeinflusste am 25.1.2008 den Norden Deutschlands und Südskandinavien und befand sich am 26.1. über Westrussland. Das erste Randtief verlagerte sich am 26.1. in einer lebhaften Nordwestströmung rasch von der Ostsee weiter zum Schwarzen Meer. Gleichzeitig entstand an der Warmfront des Sturmtiefs 'Quitta' südlich von Island eine sogenannte Welle, d.h. die Warmfront begann zu verwellen und eine Kaltfront auszubilden. Dieses Gebilde zog am 27.1.2008 über Österreich hinweg.

Das Besondere an dieser Konstellation war, dass vor dem Durchzug dieser Welle kräftiger Hochdruckeinfluss herrschte, welcher die Luftmasse ziemlich austrocknete. Mit dem Transport von Warmluft von Nordwesten wurde die Luftmasse vor allem in höheren Atmosphärenschichten angefeuchtet. Der Warmfrontniederschlag fiel in die extrem trockene Luftmasse in den unteren Schichten und starke Verdunstung entzog der Luft Wärme, sodass die Schneefallgrenze trotz deutlicher Plusgrade bis zum Boden absank. Am 27.1.2008 wurden in Stuttgart bei +8°C Eiskörner und in Bad Tölz am bayrischen Alpenrand bei +10,5°C Schneeregen beobachtet.

Der Entzug von Wärme hat zur Folge, dass sich die Luft stark abkühlt und starke Abwinde entstehen. In Österreich trat das Maximum der Windböen jeweils mit dem Einsetzen des Niederschlags auf, der ebenfalls in diese trockene Luftmasse fiel. Es besteht hier also ein direkter Zusammenhang zwischen Niederschlag und Verdunstungskälte. Weiters kam hinzu, dass die Mittelwinde in der mittleren Troposphäre verbreitet zwischen 130 und 170 km/h lagen. Durch die starken Abwinde wurden diese Mittelwinde bis zum Boden durchgereicht.

Vergleich Druckdifferenzen am Boden von West nach Ost (jeweils zum Zeitpunkt der Spitzenböen):

27.1.2008, 07 MEZ: Bodensee 1039 hPa, Salzburg 1027 hPa, Weinviertel 1021 hPa
18.1.2007, 00 MEZ: Bodensee 1012 hPa, Salzburg 1001 hPa, Weinviertel 993 hPa
01.3.2008, 13 MEZ: Bodensee 1009 hPa, Salzburg 1008 hPa, Weinviertel 994 hPa.

Entsprechend war der Druckgradient in den am stärksten vom Orkan am 27.1.2008 betroffenen Regionen mit 6 hPa geringer als bei 'Kyrill' mit 8 hPa bzw. 'Emma' mit 14 hPa. Die Gesamtdruckdifferenz war mit 18 hPa so groß wie bei 'Kyrill' mit 19 hPa, jedoch hatte der 27.1.2008 den Löwenanteil im Westen mit 12 hPa.

Diese Unterschiede in den Druckdifferenzen deuten an, dass man den 27.1.2008 nicht einfach so mit den berüchtigten Orkantiefs davor bzw. danach gleichsetzen kann.

Ebenfalls eine Rolle spielte der Nordföhn südlich des Alpenhauptkamms, jedoch traten dabei keine stärkeren Böen als mit Beginn/während des Niederschlags auf.

Fazit:

Von dem Umstand abgesehen, dass 'Paula' gar nicht 'Paula' hieß, sondern nur diese Bezeichnung erhielt, weil ein Ereignis einen Namen braucht und 'namenlose Warmfrontwelle' der Bevölkerung nichts sagt, sind die Orkanwinde am 27.1.2008 einer seltenen Konstellation zu verdanken. Der beobachtete feste Niederschlag bei derart hohen Temperaturen (von Hagel abgesehen) ist bereits am oberen Rand des Temperaturspektrums zu finden, in früheren Studien hat man die Grenze für Schneefall bei 5-7°C festgelegt. Dass die genannten Faktoren von trockener Luft, Warmfrontniederschlag, starker Druckdifferenzen in der mittleren Troposphäre und Nordwestanströmung (die zusätzlich für Kanalisierungseffekte sorgte) zusammenkommen, ist äußerst selten. Der Durchzug von Orkantiefs (!) wie 'Kyrill' und 'Emma' wird in wesentlich kürzeren Abständen kommen wie die Konstellation dieser Sturmlage. So gesehen kann man den am 27.1.2008 betroffenen Gebieten - vor allem in der Steiermark, Kärnten, südliches Niederösterreich und Burgenland - Entwarnung geben: solche Ereignisse kommen vielleicht pro Menschenalter einmal vor (alle 80-100 Jahre?) und selbst das kann noch zu hochgegriffen sein.
Antworten