Alpine Wetterirrtümer

z.B. Halo, Temperaturprofil bei Strahlungsnacht, Alpines Pumpen, ...
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Exilfranke1

Samstag 3. April 2010, 21:01

1. Wenig Schnee = geringere Lawinengefahr

Hängt vom Aufbau der Schneedecke ab, die u.a. von der Art des Neuschnees abhängt, und wie gut sich die Schneedecke setzen konnte. Bewölkung in der Nacht verhindert eine starke Auskühlung und Ausbildung eines Harschdeckels, dann kann tagsüber die Schneedecke durch Tauwetter/Sonneneinstrahlung rasch durchfeuchten und als Nassschneelawine am Nachmittag abgehen. Bei sehr lockerem Schnee wie diesen Winter durchwegs bei den niedrigen Temperaturen kann sich die Schneedecke nicht verdichten, und es kommt zur aufbauenden Metamorphose der Schneekristalle, wodurch sich sogenannte Becherkristalle ausbilden, die zur darunterliegenden Schneeschicht kaum Verbindung aufbauen. Schwimmschnee fungiert als Gleitschicht für Schneebretter und ist daher sehr tückisch in schneearmen und kalten Wintern wie 2009/2010.

2. Lawinenstufe 3 ist ungefährlich

Lawinenstufe 3 bedeutet immerhin erheblich auf der fünfteiligen Skala. Lawinenstufe 4 und 5 halten die meisten davon ab, die Pisten zu verlassen, 3 suggeriert die Mitte, "da passiert nicht soviel". Tatsächlich gibts die meisten Toten bei Lawinenstufe 3 und nicht bei 4 oder 5.

3. Dauerregen im Alpenraum = Hochwasser

Das hängt stark von der Schneefallgrenze ab, im Winterhalbjahr wird im Gegensatz zum Flachland bzw. Mittelgebirge der Großteils des Niederschlags in Form von Schnee gebunden und kommt gar nicht bzw. nur verzögert in die Abflüsse.

Im Sommerhalbjahr ist mit Dauerregen bzw. Stauniederschlägen häufig ein Absinken der Schneefallgrenze verbunden, das ebenfalls die Abflussspitzen abmildert. Erst, wenn der Niederschlag vermehrt konvektiv durchsetzt ist und gleichzeitig eine hohe absolute Feuchte, d.h. eine hohe Nullgradgrenze (> 2800m) vorherrscht, setzt bis in die Hochlagen Tauwetter ein, im Extremfall dann auch Gletscherschmelze.

Große Schneemengen können den flüssigen Niederschlag zunächst wie ein Schwamm aufsaugen, sodass erst bei einer mehrstündigen und intensiven Regenperiode das Schmelzwasser hinzukommt. Sehr geringe Schneemengen werden dagegen rascher geschmolzen und der Niederschlag rinnt schneller ab. (was besser für hohe Abflüsse ist, können Hydrologen besser beurteilen).

Der Höhepunkt der Schneeschmelze wird im Juni/Juli erreicht.

4. Föhn weht nur bei Niederschlag im Luv des überströmten Gebirges

Niederschlag ist keine Voraussetzung für die Föhnentstehung.

Beispiel 1: 24.3.2010, Föhn in Nordtirol bei nur flacher Quellbewölkung in Südtirol

Bild

Beispiel 2: 17.11.2009, Seichter Föhn in Innsbruck bei Hochnebeldecke in Südtirol

Bild

Der Einfluss der durch die Kondensation freigesetzten latenten Wärme ist nicht restlos geklärt.
Im Luv halten sich Kondensationswärme und Niederschlagskühlung durch (anfänglich) Verdunstung und Schmelzen die Waage. Die trockenadiabatische Erwärmung von 1°C pro 100m im Lee tritt unabhängig davon auf, ob es im Luv regnet bzw. kondensiert oder nicht.

5. Durch Niederschlag im Luv ist der Föhn wärmer als ohne Niederschlag

Hängt von der Schichtung bzw. Strömungsgeschwindigkeit ab.

Bei starker Anströmung wird die Föhnmauer leeseitig versetzt und der aus der Föhnmauer fallende Niederschlag kühlt die Föhnluft. Bei labiler Schichtung ist die Niederschlagsbildung in der Föhnmauer verstärkt, sodass die Föhnluft schon frühzeitig gekühlt wird. Schließlich hängt es auch davon ab, aus welcher Höhe die Föhnströmung absinkt. Bei antizyklonal geprägtem Föhn würde man sich höheres Geopotential und wärmere potentielle Temperatur erwarten als wenn mit zyklonalen Föhn langsam Geopotentialabbau erfolgt.

6. Mit Föhn wird es immer wärmer

Im Sommerhalbjahr erwärmen sich die Täler stark und bei trockenheißen Luftmassen wird die Talatmosphäre bis Kammhöhe durchmischt (2500-3000 m Höhe), bei zusätzlich sehr trockenen Bedingungen (geringe Bodenfeuchte) auch über 3000 m. Etabliert sich nun eine Föhnströmung, so hängt es wiederum davon ab, aus welcher Höhe die Strömung absteigt. Bei einer gegebenen Grenzschichthöhe von 3000 m im Hochsommer und einer Föhnabstiegshöhe von 2700 m wird also potentiell kältere Luft herangeführt. Dann kappt der Föhn die Tageserwärmung und es wird kühler, wobei zusätzlich noch die gefühlte Abkühlung durch den Windchill hinzukommt.

Ein Spezialfall ist Bora. Föhn ist nichts anderes als maskierte Bora, da die luvseitige Luftmasse potentiell kälter sein muss, damit sie im Lee absteigen kann. Solang die verdrängte Luftmasse ursprünglich kälter war, herrscht Föhn. Sobald sie aber wärmer ist, wie etwa am warmen Meer (Adriaküste, Schwarzmeerküste), herrscht Bora.
MarcoKTN
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Samstag 3. April 2010, 21:11

dankeschön für den Beitrag

gottseidank trifft keiner der Irrtümer auf mich zu :)
Amlach(620m ü.n.N)/Oberkärnten-Bezirk Spittal-Oberes Drautal
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Markus
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Samstag 3. April 2010, 21:33

danke für diesen beitrag!
lg
markus
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Herfried
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Samstag 3. April 2010, 22:49

Eiskalten Föhn der mit einer leeseitig trockenen inaktiven Kf einhergeht und die Temperatur (teils mit KLA im Tagesvrlauf konstant) senkt gibt es von NW her auch häufig in der südl. Steiermark. Hat was von Bora.
Schöne Grüße aus Mühldorf bei und 100 m über Feldbach, Herfried Spät-Schneefrosch 2011 und 2020 ex aequo, früh 2021, Eisfrosch 2020
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