Gewittervorboten und entkoppelte (elevated) Gewitter

Wie entsteht z.B. eine Rollcloud, Tornado, ...? Was ist die F-Skala etc ...?
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Exilfranke1

Dienstag 14. Juli 2009, 00:37

Folgende Zusammenfassung fußt auf dem Artikel von Corfidi et.al (2008), Elevated Convection and Castellanus: Ambiguities, Significance, and Questions .Hintergrund bzw. das Ziel des wissenschaftlichen (,aber praktisch orientierten) Artikels war die Hervorhebung des Unterschieds zwischen entkoppelter Konvektion (elevated convection) und (Altocumulus) castellanus-Wolken, die häufig - fälschlicherweise - als synonym angesehen werden.

In Klammern persönliche Anmerkungen bzw. Übersetzungen/Zitate.

I. Was bedeutet "elevated"?

Entkoppelte (oder wörtlicher übersetzt: gehobene) Konvektion steht sowohl für konvektive Wolken als auch für Schauer/Gewitter, deren Luftpakete oberhalb der planetaren Grenzschicht (im Folgenden mit PBL für planetary boundary layer abgekürzt) eingesaugt werden. Das ist besonders in der Nacht der Fall, wenn die Grenzschicht durch langwellige Ausstrahlung abkühlt und sich eine Inversion ausbildet. Aber auch an Warmfronten ("Warmlufteinschubgewitter") bzw. stationären Fronten begünstigt eine geneigte Frontfläche entkoppelte Konvektion.

Zu unterscheiden, was nun (von der Grenzschicht) entkoppelte Konvektion und bodengebundene Konvektion (d.h. surface-based bzw. durch Einstrahlung und Aufheizung ausgelöst) ist, ist gar nicht so einfach. Konvektive Bewölkung, die durch das Land-See-Windsystem entsteht, bezieht ihre Luft ursprünglich aus einer Höhe oberhalb der PBL, während rotierende Aufwinde in Superzellen sogenannte "nicht-hydrostatische vertikale Druckgradientkräfte" induzieren, die Luftpakete in der Grenzschicht "einfangen", die inversionsbedingt nicht aufsteigen würden ("tapping non-buoyant boundary layer parcels").

Thompson et. al (2007) hat den Begriff der "effective inflow layer" kreiert, d.h. die Schicht, die die meisten Luftpakete für das Einströmen in ein Gewitter liefert. Es wurde festgestellt, dass die meisten "Auftriebspakete" von oberhalb der PBL kommen, selbst bei bodengebundener Konvektion.

Der Übergang von entkoppelter zur bodengebundenen Konvektion und umgekehrt geschieht meistens fließend. Ein Beispiel für eine Umwandlung von bodengebundenen zu entkoppelten Gewittern:

Über einer Hochebene/gebirgiges Gelände wird die Grenzschicht hochreichend durchmischt (im Alpenraum meist 3km, manchmal auch bis knapp 4km). Die Gewitter entstehen also von "unten" her durch die Einstrahlung und die Erwärmung und Durchmischung des Talvolumens/ über der Hochfläche. Ziehen die Gewitter nun ins Flachland, wo die Grenzschicht nicht so hoch durchmischt ist (meist 1-2km), dann werden sie entkoppelt .Selbst wenn im Flachland keine konvektive Hemmung (CINH) vorhanden ist, wird die kühlere, feuchte PBL-Luft nicht einbezogen. Tornados werden damit unwahrscheinlicher.

Der umgekehrte Fall von entkoppelt zu bodengebundener Konvektion geschieht, wenn feuchte Grenzschichtluft eingeatmet wird, die Gewitter entwickeln sich abwärts, verstärken sich und werden gefährlicher.

II. Was bedeutet "castellanus"?


Der Begriff ist lateinisch und rührt von Kastel bzw. castle her (Burg), castellanus bedeutet türmchen- oder zinnenförmig.

Es gibt zwei Definitionen von castellanus (im Folgenden CAS abgekürzt), eine morphologische Definition, die auf die Form/phänologische Erscheinung eingeht, und eine physikalische Definition, welche den Entstehungsprozess beschreibt. (Anm: Die Beschreibung und Definierung über Äußerlichkeiten birgt so ihre Tücken, siehe Hagel/Graupel-Unterscheidung).

* a) morphologisch:

Es existieren Flecken oder Schichten von Wolken in jeder Höhe, die an ihrer Oberfläche türmchenartige oder cumuliforme Teile aufweisen.

* b) physikalisch (Scorer, 1972):

Jede cumuliforme Wolkenbildung, die ihren Auftrieb dem Auftreten von Kondensation mehr verdankt als dem Vorhandensein von Thermik, die die Höhe freien Auftriebs (LFC) erreicht.

(Anm.: Gemeint ist hier folgendes: Hebungskondensation durch mesoskaligen/großskaligen erzwungenen Auftrieb => LCL, sprich, einmal Hebung durch Tröge, Fronten, Outflow Boundaries, das andere Mal durch Einstrahlung und Aufsteigen von Warmluftpaketen (Thermik))

III. Beispiele

CAS kann durch Schwerewellen in der unteren Troposphäre gebildet werden, die von der unterlegten Topographie verursacht sind.

CAS werden oft als Gewittervorboten betrachtet, dazu gibt es auch einen Artikel von Brooks (1951). Typisch ist ihre sanfte, glatte Unterseite und das Auftreten in Feldern, was auf großräumigen Hebungsantrieb hindeutet. Sie werden auch oberhalb von Outflow Boundaries (OBs) beobachtet.

Weiters existiert CAS auch in der oberen Troposphäre, bekannt als Cirrus uncinus generierende Zellen. Deren Fallstreifen (virgae) verdunsten viel langsamer als unterkühlte Tröpfchen und halten sich daher recht lange in der Luft. Bei vertikaler Windscherung bilden sich die charakteristischen Hakenformen des Ci unc aus.

Beständige CAS-Bänder entwickeln sich auch an der Vorderkante eines stromabwärts sich verlagernden MCS, dessen Böenfront aus dem Zentrum konvektiver Aktivität herausläuft (Reifestadium eines MCS). Dabei ergeben sich interessante Implikationen:

Wenn sich das Kaltluftpolster hinter der OB aufstaut, werden auch die Türmer der CAS hochreichender und verschmelzen schließlich mit dem zugehörigen MCS. Auch hier sind sanfte, glatte Wolkenbasen typisch für CAS. Sie deuten auf erzwungenen Aufstieg an der Vorderkante des Systems hin, dafür verantwortlich ist Feuchtlabilität ("moist absolute instability"), d.h. der Temperaturgradient ist etwas größer als der feuchtadiabatische Temperaturgradient (aber kleiner als der trockenadiabatische Temperaturgradient) und die Taupunktsdifferenzen sind klein. CAS können also auf die Freisetzung von Feuchtlabilität hinweisen.

Schließlich existieren CAS auch als bodengebundene konvektive Wolken in Regionen mit nur schwacher Wolkenthermik, z.B. über dem Meer (wo viel an Sonnenenergie in die Verdunstung geht und nur sehr wenig in den fühlbaren Wärmefluss). Die entstehenden Wolkentürme erfahren rasch Entrainment aus der trockenen Umgebung und werden spindeldürr.

In den Abendstunden entwickeln sich CAS manchmal, wenn gewöhnliche, im Tagesgang entstehende konvektive Bewölkung angefeuchtete Luft hinterlässt, die CAS werden dann auch "Stratocumulus vesperalis" genannt.

Eine Hybridform stellen "turkey towers" dar, d.h. sehr schmale, aber hochreichende Cu con, die von der Basis her Ausdünnung erfahren. Vom Erscheinungsbild her ähneln sie CAS.

CAS können das Anfangsstadium von nächtlichen, entkoppelten Gewittern darstellen, die sich an der Vorderkante eines Feuchtegradienten mit zunehmenden Starkwindband in Bodennähe bilden.

Ac cas können das Konvergenzfeld einer Kaltfront durch konvektives Ausströmen verändern und zunächst hochreichende Feuchtkonvektion verhindern. Treffen sich allerdings die OBs von Ac cas-Feldern, können sich präfrontal in der Warmluftmasse bodengebundene Gewitter entwickeln.

Weiters weisen Ac cas auf erhöhte Feuchte in mittleren Schichten (vermindertes Entrainment) hin, wenn dieses Feuchtefeld in den präfrontalen Bereich kommt, begünstigt das stärkere bodengebundene Gewitter (durch Einstrahlung).

IV. Umwandlung von entkoppelter in bodengebundene Konvektion

Schlüsselfaktoren für diese Umwandlungsrichtung sind...

* CINH
* Lage und Mächtigkeit von Outflow Boundaries
* zeitliche und räumliche Änderungen des mesoskaligen Antriebs

Entkoppelte Gewitter können durch ihre OBs bodengebundene Gewitter auslösen, am 17.8.1984 und am 2.6.1982 entwickelten sich aus Ac cas jeweils heftige Derechos. Corfidi (2003) beschreibt auch einen gegenteiligen Fall: Ein entkoppelter MCS, der die warme Seite einer Kaltfront betrat, schwächte sich unmittelbar darauf ab, obwohl im warmen Bereich bodengebundene Labilität bereitstand. Es wird vermutet, dass das Windfeld eine entscheidende Rolle gespielt hat. Im kalten Bereich herrschten bodennah Ostwinde, in der Höhe West- bis Nordwestwinde, was Konvergenzen und neue Zellen unterstützt Eine weitere Möglichkeit kann die reduzierte Labilität in Frontnähe in den mittleren Schichten sein.

Für entkoppelte Gewitter sind folgende Bedingungen ideal:

* starke Warmluftadvektion in Bodennähe
* seichte Schicht mit Kaltluft, die von einer hochreichenden EML überlagert ist

Für MCS sind die Bedingungen in der Nacht am Besten, da die bodennahe Feuchte am Höchsten ist.

Aus noch nicht näher erforschten Gründen sind entkoppelte Gewitter manchmal in regelmäßigen Abständen parallel oder quer zu den Isentropenflächen angeordnet.

[Anmerkung: Vielleicht sind dafür Schwerewellen verantwortlich? s.u.]

Wenn interne Schwerewellen präsent sind, entwickeln sich Ac cas weit vor der OB eines MCS

Das hat man versucht zu simulieren:

Zunächst entwickelten sich durch niederfrequente Schwerewellen ausgehend von einem MCS tiefe und mittelhohe Wolkenbänke. Daraus bildeten sich neue Zellen, die durch hochfrequente Schwerewellen aus einzelnen konvektiven Outflowschüben im MCS angeregt wurden. Ein stromabwärts geneigter Amboss ist dafür notwendig, weil er als Kanal ("duct") für die hochfrequenten Schwerewellen fungiert.

Dies geschieht im Reifestadium des MCS, wenn Feuchtlabilität freigesetzt wird.

V. Schlussfolgerungen

Dazu hat Corfidi ein "Venn-Diagramm" benutzt:

Bild

Es bildet den fließenden Übergang von entkoppelter zu bodengebundener Konvektion mit all seinen Zwischenformen ab. Die Zwischenstufen zu ignorieren wäre ein "Gütesiegel schlechter Wissenschaft". Corfidi schlägt die physikalische Definition von CAS als algemein gültige vor: CAS verdanken ihren Auftrieb der Freisetzung latenter Wärme durch (Hebungs-)Kondensation. Wie gezeigt wurde, sind nicht alle CAS-Formen mit entkoppelter Konvektion verbunden.

Viele Fragen bleiben offen, u.a.

* ...warum ist CAS häufig bänderförmig und in bestimmten Abständen angeordnet und was beeinflusst den Durchmesser der Wolkentürmchen?
* ...warum produzieren manche entkoppelte Gewitter Downbursts, viele aber nicht?
* ...welche Bedingungen bestimmen die Mächtigkeit, Stärke und Lebensdauer entkoppelter Gewitter und gibt es Variablen, um diese vorherzusagen?
* ...erlangen entkoppelte Gewitter in derselben Weise Rotation wie die bodengebundenen Superzellen?

u.v.a. (im Artikel nachzulesen)
Zuletzt geändert von Exilfranke1 am Dienstag 14. Juli 2009, 12:27, insgesamt 1-mal geändert.
Hannes
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Sonntag 19. Juli 2009, 20:59

danke dir felix liest sich interessant :)
lg Hannes
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