Wolkenforschung mit Gazellen

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roman 1220

Mittwoch 27. Juli 2011, 11:52

Wolkenforschung mit Gazellen
Was haben Gazellenherden mit Wolken gemeinsam? Ihr Verhalten lässt sich mit denselben mathematischen Formeln beschreiben, berichten zwei Forscher. Die Gazellen-Gleichungen sollen nun Meteorologen bei der Vorhersage von Regenfällen helfen.

Kühlende Cumuli
Wolken gehören zu den Hauptakteuren des Klimas, das gilt insbesondere für die sogenannten Stratocumuli über den suptropischen Ozeanen, wo diese einfallende Sonnenstrahlung reflektieren. Letzteres hat nicht nur Einfluss auf die Lichtverhältnisse auf der Erde, es beeinflusst auch deren Energiebilanz.

Nachdem die Wolken Sonnenenergie via Reflektion zurück in den Weltraum schicken, kühlen sie die Atmosphäre. Sie sind quasi die Kühlelemente des Klimas. Ilan Koren vom israelischen Weizmann Institut hat nun gemeinsam mit seinem Kollegen Graham Feingold vom NOAA Earth System Research Laboratory, Colorado, einen zoo-meteorologischen Brückenschlag versucht, dessen Ursprung im frühen 20. Jahrhundert liegt.

Damals veröffentlichte der österreichisch-amerikanischen Chemiker und Statistiker Alfred Lotka Gleichungen, mit deren Hilfe er den Ablauf einer autokatalytischen chemischen Reaktion beschrieb. Kurze Zeit später entdeckte der Italiener Vito Volterra dasselbe Gleichungssystem, verwendete es allerdings um Schwankungen in Fischpopulationen zu erklären.

Die Studie
"Aerosol–cloud–precipitation system as a predator-prey problem", PNAS online (doi: 10.1073/pnas.1101777108).
Nun fügen Koren und Feingold den - heute sogenannten - Lotka-Volterra-Gleichungen eine weitere Anwendung hinzu, nämlich die Beschreibung der Wolkenbildung. Wie die beiden in ihrer Arbeit schreiben, bestehe zwischen der Abfolge von Wolkenbildung und Regen eine Analaogie zu den bekannten Räuber-Beute-Zyklen im Tierreich.

Räuber-Beute-Zyklen
So wie die Population von Löwen wächst, wenn es mehr Gazellen gibt, und schrumpft, wenn die Beutetiere seltener werden, folgen einander auch Wolken und Niederschläge in einem zyklischen Auf und Ab. Und wie das Gras die Gazellenherde ernährt, tun Aerosole, feste oder flüssige Schwebeteilchen in der Luft, Ähnliches für die Wolken.

Sie fungieren als Kondensationskeime der Tröpfchenbildung und sind somit indirekt für Größe und Form der Wolken verantwortlich. Je mehr Aerosole vorhanden sind, desto zahlreicher und feiner sind die Tröpfchen in der Luft. Und je feiner die Tröpfchen, desto eher bleiben sie in der Wolke anstatt als Regen zu Boden zu fallen.

Wie Koren und Feingold im Fachblatt "PNAS" schreiben, müssen Wolken und Regen nicht notwendig einen Zyklus bilden. Ihr Modell zeigt, dass die beiden - zumindest im Prinzip - auch einen Gleichgewichtszustand erreichen können, bei dem sich Wolkenbildung und Regen exakt die Waage halten. Wer einmal südostasiatischen Dauerregen erlebt hat, kennt diesen Zustand.

Klimafaktor Aerosole
Und es gibt noch eine dritte Möglichkeit: Der Reigen der Wolken mit den Regentropfen kann unter bestimmten Bedingungen auch ins Chaos schlittern und zum Kippen des Systems führen. In diesem Fall setzt sich der Regen vollständig durch, die Wolken verschwinden - womit auch der blaue, wolkenfreie Himmel mathematisch erklärt wäre.

Koren und Feingold haben in ihrem Modell auch noch ein paar kompliziertere Fälle auf Lager, die zeigen, wie das System von einem Zustand in den nächsten schlittern kann. "Bifurkation" nennen Mathematiker solche Abzweigungen.

Eine solche Bifurkation betrifft etwa den Einfluss von Aerosolen: Je nachdem für welche Abzweigung sich das System entscheidet, können sie sehr großen Einfluss auf die Entstehung von Wolken haben oder nur als Randgröße in Erscheinung treten. Und das dürfte wiederum für die Klimaforschung von Belang sein. Jüngste Untersuchungen zeigen nämlich, dass der Anteil von Aerosolen in der Stratosphäre während des letzten Jahrzehnts stetig gestiegen ist.

Quelle:http://science.orf.at/stories/1685793/
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