um das ganze endgültig aufzuklären, ob der Kaltfrontdurchgang im Süden Österreichs ein Flopp war oder nicht, nehme ich nochmal Bezug auf Moglis Ausgangsposting:
Mogli bezog sich dabei u.a. auf die Estofex-Prognose, die er allerdings missverstanden hatte (und wahrscheinlich viele andere auch) - dazu später....
Soweit passt alles. Präfrontal drehte der Wind zum Teil sogar zurück auf Südost, darüber pfiff der Südwestwind, der mit der Höhe auch stark zunahm.Mogli hat geschrieben:Ingredienzien:
- warm, feucht,
- KF schleift an den Alpen und überquert diese
- präfrontaler Südwind = low level Scherung
- starker mid-level Jet, drehend S auf W
Die für organisierte Gewitter notwendige Geschwindigkeitsscherung war gegeben, und die für Superzellen notwendige Richtungsscherung auch.
Bei Lagen, die durch starke differentielle zyklonale Vorticityadvektion, interessant werden, kann man nicht zwangsläufig mit der Einstrahlung argumentieren.Mogli hat geschrieben: CAPE wird "wenig" berechnet ==> IRRTUM!
...laut GFS werden hohe Wolken berechnet, seit in der Früh... hier ist NIX zu sehen von Wolken, im Gegenteil:
Am 18. Juni herrschte vorderseitig der Trogachse intensiver Hebungsantrieb. Das klingt zwar auf den ersten Moment förderlich,
jedoch muss man bei intensiver Hebung auch mit feuchten Profilen rechnen, da die gesamte Schicht gehoben wird und kondensiert.
Tendenziell bringen solche Lagen, wo Vorticitymaxima in eine straffe Strömung eingelagert sind, linienhafte Gewitter hervor (Windrisiko).
Man erinnere sich aber auch an den 15.8.2008 in den frühen Morgenstunden:
damals überquerte Vorticitymaximum (nicht an die Haupttrogachse geknüpft) den Südosten Österreichs - wenige Stunden vor
dem Zeitpunkt der Karte gab es bis zu 15 km hohe Gewitterzellen in der Südsteiermark und im Burgenland, die deutlich geneigt waren.
Ganz ohne Einstrahlung! Ich will damit sagen, dass Einstrahlung bei einer gewissen "Dynamik" sekundär wird. Zwar unterstützt Einstrahlung
den bodennahen Auftrieb und vergrößert die horizontalen und vertikalen Druckdifferenzen, aber wenn a) die Auslösung entkoppelt (elevated) erfolgt,
ist die Tageszeit und/oder Einstrahlung irrelevant und b) wenn durch die starke Vorticityadvektion die gesamte Säule gehoben wird, dann
wird das Soundingprofil in der Höhe feuchter, was bekanntlich schlecht für große CAPE-Mengen ist, da die CAPE-Fläche bei trockenadiabatischem
Temperaturverlauf größer als bei feuchtadiabatischem Verlauf ist: Wie kann man sich das graphisch vorstellen?
Ein beliebiges Profil von Wien:
angenommen wird durch Einstrahlung induzierte Konvektion bei einem Taupunkt von 10 Grad. Die Temperaturkurve folgt annähernd der Feuchtadiabaten,
die resultierende CAPE-Fläche bei knapp 20 Grad ist wie dargestellt (LINKS). Im modifizierten Fall (RECHTS) hab ich die Temperaturkurve zwischen 850 und 600 hPa steiler (PINK) gemacht, d.h. den Trockenadiabaten folgend, das passiert beispielsweise durch Föhn oder eine "elevated mixed layer", wie sie in Luft afrikanischen Ursprungs oder der spanish plume häufig auftritt. Die Folge ist, dass sich die CAPE-Fläche nahezu verdreifacht!!
Umgekehrt bedeutet das: Im gezeigten Graz-Sounding hätte Graz bei gleichbleibenden Taupunkt von 16 Grad
eine Auslösungstemperatur von rund 23 Grad gebraucht, um eine 12 km hohe Gewitterwolke zu realisieren. Tatsächlich fiel der Taupunkt
morgens aber um 2-3 K ab, sodass die Auslösungstemperatur automatisch höher und nicht mehr erreicht wurde. Dadurch, dass es in der
Höhe feuchter wurde, nützte auch die Einstrahlung wenig - die CAPE-Fläche wurde nicht größer.
Davon abgesehen müssen hohe Wolken schon kompakt (Cs) sein, um wirklich signifkanten Einstrahlungsverlust zu produzieren,
was im Sommer selten der Fall ist.
Weder in der IPV noch in den mid-level lapse rates war ein Trockeneinschub erkennbar.Mogli hat geschrieben: --> es hat sich ein DrySlot gebildet - und das ist potentiell gefährlich.
Kein Dryslot also, sondern möglicherweise Folge des Absinkens durch den vorhergehenden Kurzwellentrog
Die Quelle wurde nicht genannt, tatsächlich zeigten die Regionalmodelle (LaMMa EZ 7 km, GFS 12 und 4 km, WRF 12 km Janek) nur südlich von Österreich erhöhte CAPE-Werte zwischen 1500 und 2000 J/kg, nicht aber auf österreichischer Seite!Mogli hat geschrieben: Gewisse Regionalmodelle haben weit über 2.000 CAPE in der Rechnung, zusammen mit fetter Scherung und einer anrückenden KF ergibt das eine sehr gefährliche Mischung.
Der entscheidende Fehler in der Prognose war aber die fälschliche Interpretation der ESTOFEX-Prognose:
Leider begehen hier viele immer wieder den Fehler, und stellen nur die Karte hinein, nicht aber den zugehörigen Text. Häufig wird bei ESTOFEX ein Level 1 oder 2 bis auf die österreichische Seite gezogen, obwohl im Text Österreich a) nicht explizit erwähnt wird oder b) nicht explizit die Level-2-Gefahren erwähnt werden. Ich möchte daher an alle appellieren, zur ESTOFEX-Karte IMMER auch den Text dazuzustellen, um Missverständnissen frühzeitig vorzubeugen.
Dass das manchmal auch nichts nützt, zeigt der folgende Text
Zuallererst müsste man sich fragen, was mit der Alpensüdseite gemeint ist. Wenn wir von Alpennordseite schreiben, meinen wir in der Regel alles nördlich der Alpen, also außerhalb des Gebirgsraums, ergo im Alpenvorland. Auch hier war - wie sich inzwischen (auf persönliche Nachfrage beim ESTOFEX-Vorhersager) herausstellte - die Region südlich der Alpen gemeint: Venezien bis Slowenien (Anm.: ja, ich weiß, die slowenischen Alpen gibts auch noch...)ESTOFEX hat geschrieben:While GFS model MLCAPE is not very impressive, local area models simulate significant instability figures along the south side of the Alps.
Hier steckt der entscheidende Passus: Die Superzellenbildung bezog sich auf Venezien und Slowenien - Superzellen mit großem Hagel, die sich zu einem MCS zusammenschließen können, der vor allem Südösterreich mit hohen Regenmengen und Sturzfluten beeinflusst.ESTOFEX hat geschrieben: Deep shear is strong with 20-40 m/s 0-6 km vectors, while 0-3 km SREH ranges between 250-350 m²/s².
This promotes formation of supercells with large hail which may cluster into an MCS, which would affect mainly the southern Austria region by large precipitation sums and flash flooding.
Auch der nachfolgende Satz unterstützt dies:
Missverständlich war dann erneut:ESTOFEX hat geschrieben: Strong upslope moisture flux contributes to this.
Denn dieser Abschnitt bezog sich auf die Gebiete südlich von Österreichs, wo Gewitter ausgelöst werden sollten, nicht aber auf Österreich selbst, mangels CAPE.ESTOFEX hat geschrieben: Severe wind gusts are also likely to occur, given the almost 20 m/s average wind speeds in the lowest kilometers, and 0-1 km shear locally can reach over 10 m/s which increases chances of bow echoes and tornadoes.
Van der Velde schrieb mir zudem, dass gebirgiges Gelände häufig MCS auseinanderreißt, was die Gefahr von Bogenechos/Wind minimiert.
Tatsächlich erreichte Udine in der Nacht auf den 19. die höchsten CAPE-Werte um 1700 J/kg bei maximierter Richtung/Geschwindigkeitsscherung und PWAT um 38 mm.
Entsprechende Radarbilder zeigen, dass am Nachmittag vorwiegend in Venezien einzelne heftige, wahrscheinlich rotierende Gewitterzellen ausgelöst wurden, deren Ambossregen vor allem entlang und knapp nördlich der Karnischen Alpen extreme Regenmengen auslöse (rund 150- 200 mm in 6-12 h). Sobald die Gewitter über die Karnischen Alpen zogen, verloren sie rasch an Stärke (zu wenig CAPE). Im Laufe des Abends und in den Nachtstunden bildeten sich südlich der Karnischen Alpen und Karawanken zahlreiche kräftige Gewitter, wobei über Kärnten und Steiermark wiederholt nur der "harmlose" Nordteil der Zellen wirksam wurde: gewittrig durchsetzter Starkregen, aber ohne Wind/Hageldramaturgien.
Fazit:
Die ESTOFEX-Prognose sollte so verstanden werden, dass Nordostitalien und Slowenien die Superzellen/Bogenechos abkriegt, welche Gorillahagel/Downbursts und Tornados hervorrufen konnten. Für Südösterreich bestand das Level vor allem aufgrund des enormen Starkregens - völlig berechtigt im Nachhinein. Wenn man sich nicht blind auf die FEXEN verlassen hat, konnte man dies sehr leicht nachprüfen, wenn man die entsprechenden Regionalmodelle und die CAPE-Berechnung abgeglichen hat.
Natürlich muss man klar einräumen, dass die graphische Darstellung (Level 2 bis weit nach Österreich) und der Text evtl. missverständlich ausgedrückt waren. Vielleicht ist dies aber auch eine Lehre für künftige potentielle Unwetterlagen, sich die Karten immer auch selbst anzuschauen. ESTOFEX schätze ich sehr hoch ein, die haben wirklich Ahnung, aber auch dort vertut man sich mal sprachlich oder übersieht etwas. Daher muss man selbst aktiv werden, und bekommt entweder eine Bestätigung (in den Karten sehe ich das, was ESTOFEX vorhersagt bzw. komme ich zur selben Einschätzung), oder kommt zu unterschiedlicher Ansicht, und dann fängt bestenfalls die Diskussion an.
Ich hoffe hiermit einige Missverständnisse ausgeräumt zu haben - für Fragen und konstruktive Kritik stehe ich zur Verfügung
PS: Ich hab auch etwas mehr Gewitteraktivität erwartet, da zumindest 300-500 J/kg simuliert wurden. Allerdings kam schon früh am Tag der Nordwind weit Richtung Südsteiermark, spätestens dann war klar, dass es knapp werden würde, auch angesichts des 3z-Aufstiegs von Graz -> bodennah Kaltluftadvektion, darüber noch warme Südströmung => Gegenstromlage => Aufgleiten => Stabilisierung (darunter sicher noch labile Einlagerungen, daher konvekiv verstärkter Dauerregen).