Tornado-Erklärung von Johannes Dahl (estofex)

Wie entsteht z.B. eine Rollcloud, Tornado, ...? Was ist die F-Skala etc ...?
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Exilfranke1

Mittwoch 8. Juni 2016, 21:28

Schritt 1. Mesozyklone in der Hoehe

Obwohl man seit Jahrzehnten weiss, dass die Rotation der Mesozyklone durch das Umorientieren horizontaler Rotation im Inflow der Zelle entsteht (einer der Gruende weshalb vertikale Windscherung wichtig ist), so kann dieser Prozess nicht die Entstehung von Tornados erklaeren. Warum? Der horizontale Wirbel (hier meine ich "Scherungs-Vorticity"), wird an der Flanke des Aufwindes in die vertikale gekippt, und bewegt sich damit vom Erdboden weg. Das "Kippen von Vorticity im Aufwind", das ganz grundlegend die Aufwindrotation erklaert, kann also nicht Rotation am Erdboden erklaeren. Das wurde erstmals von Bob Davies-Jones in den 80ern ueberlegt und dann formal in den fruehen 90ern und 2000ern mittels Simulationen und analytischen Modellen gezeigt. Da es darueber in den letzten Jahren unter Tornadoforschern immer noch Uneinigkeit gab, wurden in den letzten Jahren zahlreiche weitere Papers veroeffentlicht, in denen demonstriert wurde, dass ein Tornado nicht durch das "Aufstellen" horizontaler Rotation in einem Aufwind entstehen kann.

Schritt 2. Bodennahe Rotation


Um Rotation am Erdboden zu erlangen, eine Voraussetzung fuer die Entstehung von Tornados, benoetigt man einen Abwind. Der Abwind kann, genau wie der Aufwind, horizontale Vorticity in die Vertikale kippen, und hat den Vorteil dass diese Rotation zum Boden transportiert wird--anders als im Aufwind, in dem beim "Aufstellen" der Rotation selbige vom Boden wegtransportiert wird. Das hat eine intessante Folge: Die Luft, die die Rotation fuer Tornados beinhaltet ist kuehle Outflow-Luft! Hier ein Video, das deutlich zeigt, wie die Wallcloud durch Outflow-Luft gefuettert wird:

https://www.youtube.com/watch?v=Ii7pumqR1kY" onclick="window.open(this.href);return false;

Schritt 3: Konzentration der bodennahen Rotation

Nun ist die Frage, wie ein Tornado in der kuehlen Outflow-Luft entstehen kann. Der Trick ist: starke, dynamische Hebung. Dynamisch heisst, dass die Luft keinen Auftrieb hat, also nicht "labil" aufsteigt, sondern dass erzwungene Hebung stattfindet. Steigt die Luft vom Boden auf, hat man Konvergenz am Boden und entsprechend kann der Wirbel konzentriert werden. Das ist der Punkt, an dem die Mesozyklone oberhalb des Bodens (gefuettert v.a. von der horizontalen Vorticity im Inflow) ins Spiel kommt. Innerhalb der Mesozyklone ist der Luftdruck durch Zentrifugalkraefte reduziert. Das bedeutet, dass wir eine nach oben gerichtete Druckgradientkraft haben, die Luft aus dem Cold Pool dynamisch hebt. Je staerker die bodennahe Scherung, desto staerker die Mesozyklone und desto groesser dieser Druckgradient. Es hilft auch wenn die Umgebung moeglichst feucht ist (hohe rel. Feuchte), denn dann verdunstet vergleichsweise wenig Niederschlag im Abwind und der Outflow ist nicht allzu kuehl. Dadurch ist es einfacher fuer die Mesozyklone, diese Outflow-Luft zu heben.

Kurz zusammengefasst:

1. Die Mesocyklone in der Hoehe entsteht durch das Kippel horizontaler Rotation (Scherungsvorticity) in die Vertikale

2. Bodennahe Rotation entsteht im Outflow

3. Der Outflow muss dynamisch (also nicht durch thermischen Auftrieb, sondern trotz stabilitaet durch den Druckgradienten) von der Mesozyklone gehoben werden. Dadurch entsteht bodennah Konvergenz und der Wirbel kann intensiviert werden.

Die Implikation ist, dass sich der Wirbel nach oben ausbreitet. Auch dieses Ergebnis wurde in den letzten Jahren vielfach in Simulationen sowie in Radarmessungen beobachtet.

Der 3. Schritt ist der "failure point"-- praktisch alle Superzellen haben bodennahe Rotation, nur ist es oft nicht moeglich die meist zu kalte Outflow-Luft zu heben (es scheint uebrigens, dass alle gescherten Stuerme flache und schwache bodennahe Rotation besitzen!). Die bodennahe Rotation ist uebrigens alles andere als stetig, sondern sie ist verbunden mit schmalen Baendern, die den Wirbel fuettern (sog. "vorticity rivers"), welche ebenfalls unstetig sind (sog. "internal surges"). Hier eine Animation wie bodennahe Rotation in Simulationen aussieht:

http://www.atmo.ttu.edu/joda/pics/zeta_river.gif" onclick="window.open(this.href);return false;

Ist der Outflow zu stark, werden diese Baender zerrissen und der Zufluss von Vorticity in den Wirbel wird unterbrochen. Tornados haengen also sehr stark von den Outflow-Charakteristiken der Zelle ab.

Kondensation im Wirbel


Ist die Mesozyklone stark genug, um die Outflow-Luft zu heben, wird der Wirbel am Boden konzentriert, wodurch der Druck sinkt. Der staerkste Druckfall ist typischerweise direkt am Boden, wo der Wirbel auch am staerksten ist. Die Luft steigt rotierenderweise im Wirbel auf und da der Druck mit der Hoehe abnimmt, kuehlt sich die Luft ab und kondensiert an einem bestimmten Punkt (Hebungs-Kondensationsniveau). Da die Luft allerdings mit leicht reduziertem Druck am Boden gestartet ist, ist im Wirbel das HKN etwas tiefer als in der Umgebung und eine "Funnel Cloud" entsteht. Oft beobachtet man bevor der Funnel sichtbar wird einen starken Abwind, der eine "Luecke" in die Wolkenbasis frisst. Dieser Abwind ("occlusion downdraft") ist eine Folge der bodennahen Rotation, welche mit dem Druckdefizit verbunden ist. Man hat also eine nach unten gerichtete Druckgradient-Kraft, die fuer den Abwind sorgt. Meistens hat man zu diesem Zeitpunkt bereits einen intensiven Wirbel, der vom Boden bis in die Wolke reicht, auch wenn kaum ein Funnel zu sehen ist. Hier ein Paper dazu:

http://journals.ametsoc.org/doi/full/10 ... 0MWR3568.1" onclick="window.open(this.href);return false;

Man sieht auch oft eine Staubwolke unterhalb des Funnels (falls genug Staub vorhanden ist). Waehrend sich der Wirbel intensiviert, sinkt der Druck innerhalb des Wirbels mehr und mehr ab, und das Kondensationsniveau senkt sich ebenfalls weiter ab. Wie weit es sich absenkt haengt vom Druckdefizit im Wirbel ab sowie von der relativen Luftfeuchtigkeit im Outflow. Man hoert Storm Chasers haeufig "Touchdown" ausrufen wenn das Kondensationsniveau den Boden erreicht. Die Idee scheint hier zu sein, dass der Tornado nun “am Boden angekommen” ist. Offensichtlich ist das eine drastische Fehlinterpretation.

Bei Tornados, die nicht an Superzellen gekoppelt sind, wird die bodennahe Rotation nicht durch den Outflow der Zelle selbst erzeugt, sondern es existiert bereits eine Scherungslinie, entlang der (durch Scherungsintabilitaet) Wirbel entstehen. Diese koennen dann, falls ein Aufwind oberhalb der Linie entsteht, konzentriert warden. Wieder steigt die Luft vom Boden in die Wolke auf, und die konzentrierte Rotation breitet sich nacho ben aus, wie bei der Superzelle.

Also: Nach allem, was wir bisher wissen, entstehen Tornados "bottom-up", die Rotation breitet sich also vom Boden nach oben aus. Das Kondensationsniveau im Wirbel haengt vom Druckdefizit sowie der Feuchte der Outflow-Luft zusammen.

Ursprünglich hier gepostet: http://www.wzforum.de/forum2/read.php?7 ... sg-3219079" onclick="window.open(this.href);return false;
Mortimer
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Mittwoch 8. Juni 2016, 22:12

Spannend, danke fürs Posten!
Mortimer M. Müller
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meister_k
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Donnerstag 9. Juni 2016, 14:47

danke fürs reinstellen Felix! wieder was dazugelernt...
lg
Wolfgang
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Wetterwerte Naarn, Werte nicht normiert

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Bachfan
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Mittwoch 10. August 2016, 20:28

Sehr interessant! Danke fürs reinstellen! :)
Liebe Grüße :)

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