Auswirkungen des Klimawandels auf Gebirgsvegetation

Hier ist Platz für Themen die in kein anderes Forum passen. Zudem findest du hier News & Infos zum Verein. Max. 2 Bilder sind erlaubt!
Antworten
Benutzeravatar
ThomasWWN
Beiträge: 6314
Registriert: Sonntag 19. April 2009, 21:31
Skype: thomaswwn
Rufzeichen: OE3STF
Wohnort: wochentags: 1030 Wien, Wochenende: 2603 Felixdorf
Kontaktdaten:

Sonntag 22. Mai 2011, 21:01

Wanderung zum Gipfel

21.05.2011 | 18:25 | von Petra Paumkirchner (Die Presse)

Aufgrund der Klimaerwärmung dehnen alpine Pflanzen ihr Verbreitungsgebiet Richtung Gipfel aus und verdrängen dadurch die oberste Pflanzenvegetationsschicht. Besonders betroffen werden Teile Asiens sein.

Für Wanderer ist sie ein vertrautes Terrain: die Baumgrenze. Alpinisten dringen oftmals bis zur Schneegrenze vor und sogar in noch höhere Lagen. Die Grenze zwischen alpiner und nivaler (mit Schnee bedeckter) Zone in rund 3000 Meter Höhe hingegen ist für viele unbekanntes Hochland. Nicht so für Michael Gottfried, Ökologe am Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie, und den Klimatologen Michael Hantel vom Institut für Meteorologie und Geophysik an der Universität Wien. Sie gehen ökologischen Auswirkungen durch den Klimawandel in schwindelerregenden Höhen auf die Spur.

„Dass die Gletscher kleiner werden, ist hinlänglich bekannt“, so Gottfried. „Doch wie reagiert die Lebenswelt der Hochgebirge auf die Klimaveränderungen der letzten Jahrzehnte, vor allem diejenige an den Kältegrenzen des Lebens? Das wollen wir mit der Forschungsplattform Mountain Limits und dem internationalen Beobachtungsnetzwerk Gloria herausfinden.“ Der Temperaturanstieg in hochalpinen Landschaften ist eindeutig messbar. Das lässt den Schluss zu, dass Hochgebirgspflanzen in höhere Lagen vordringen und dort überleben können, wo sie vor wenigen Jahrzehnten dem rauen, kalten Klima zum Opfer gefallen wären.

Übergangsbereiche zwischen zwei ökologischen Zonen werden als „Ökotone“ bezeichnet. Das bekannteste Ökoton im Gebirge ist die Baumgrenze, der Übergang vom Wald zur baumfreien, alpinen Vegetation. Gottfried und Hantel sehen im alpin-nivalen Ökoton einen empfindlichen Indikator, der den Einfluss von Klimaänderungen auf die Biodiversität der Ökosysteme im Hochgebirge anzeigt.

Schauplatz der Untersuchungen ist der Schrankogel (3497 m) in Tirol. Hier nahmen die Forscher zehn Jahre lang die Vegetation im Grenzbereich zwischen alpiner und nivaler Zone unter die Lupe. Alpine Pflanzen vertragen gelegentlichen Schneefall und Frost während ihrer Vegetationsperiode, also der Zeit, in der sie wachsen und sich entfalten. In der alpinen Zone oberhalb der Waldgrenze dominieren ausgedehnte Regionen von Zwergstrauchheiden und Gräsern. Nivale Pflanzen dagegen sind extreme Spezialisten und an eine deutlich längere Schneebedeckung angepasst, sie sind Schneeschützlinge. Die kälte- und schneetoleranten Pflanzen wachsen auf offenem Schutt und Fels. Es sind im wesentlichen fünf Gefäßpflanzen, die in der Vegetationszone überleben: Gletscher-Hahnenfuß, Alpen-Mannsschild, Moos-Steinbrech, Einblütiges Hornkraut und Schlaffes Rispengras.

Zur quantitativen Festlegung des Ökotons verwendeten die Forscher ein statistisches Modell, das sie schon für die Schneegrenze eingeführt hatten. Die sogenannte Schneelinie verbindet Orte, an denen mit 50-prozentiger Wahrscheinlichkeit im Sommer Schnee liegt. Das alpin-nivale Ökoton verbindet hingegen Orte, an denen 50 Prozent alpine und 50 Prozent nivale Pflanzen gedeihen. „Wir haben die Vegetation und den Schnee mit einer belastbaren und mathematisch einwandfreien Methode unabhängig voneinander ausgewertet“, erklärt Gottfried. „Die meisten Leute kennen nur die Baumgrenze. Unsere Studien zeigen, dass das alpin-nivale Ökoton im Bereich um 3000 Meter eine ebenso wichtige Grenzlinie ist.“

In den Sommermonaten zwischen 1994 und 2004 untersuchten die beiden Wissenschaftler der Uni Wien die Hochgebirgsvegetation am Schrankogel an 150 „Plots“. Dabei handelt es sich um je einen Quadratmeter große, genau abgesteckte Untersuchungsflächen. In jedem Plot wurde das Flächenverhältnis der nivalen Pflanzen zur Gesamtvegetation (Nivalitätsindex) bestimmt. „Der Nivalitätsindex folgt dem gleichen Gesetz, das die Schneewahrscheinlichkeit in einer gegebenen Höhe und so die sommerliche Schneelinie bestimmt“, erläutert Hantel.

Die Forscher stellten fest, dass in dieser Zeit das alpin-nivale Ökoton um 20 Meter in die Höhe gewandert ist. „Zehn Jahre sind natürlich nicht besonders lang“, wirft Gottfried ein. „Man muss jedoch bedenken, dass Gebirgspflanzen sehr träge und langlebige Pflanzen sind, die sehr langsam reagieren. 20 Meter in zehn Jahren sind daher ein nicht zu vernachlässigender Höhensprung.“ Die alpinen Pflanzen wandern also nach oben, während die nivalen Pflanzen Richtung Gipfel gelangen, wo sie nicht mehr weiter hinaufwandern können. Ihr Verbreitungsgebiet wird kleiner.

Würde die Verlagerung des alpin-nivalen Ökotons in diesem rasanten Tempo weitergehen, dann gäbe es in einigen Jahrhunderten im Gebirge keine nivalen Pflanzen mehr. Doch vor übertriebenen Horrorszenarien muss gewarnt werden: Weitere Langzeitdaten müssen gesammelt werden, um die Beobachtungen abzusichern.

„Für die Biodiversiät und die genetische Vielfalt der Hochgebirgsregionen wäre es natürlich ein großer Verlust“, warnt Gottfried. Man muss Folgendes bedenken. In Europa leben rund 12.000 Pflanzenarten, davon 2500 im Gebirge, also über der Waldgrenze. Das sind 20 Prozent der europäischen Flora. Und diese 20 Prozent wachsen auf nur drei Prozent der Gesamtfläche von Europa. Spielen sich hier derart einschneidende Veränderungen ab, sind große Verluste bei der Artenvielfalt zu befürchten.

„Wir haben Beispiele aus dem Ural, wo die Baumgrenze innerhalb von 70 Jahren um 100 Meter gestiegen ist. Ähnliches ist auch aus Nordamerika bekannt“, so der Botaniker Harald Pauli, der zusammen mit seinen Kollegen Gottfried und Georg Grabherr von der Universität Wien das Monitoringnetzwerk Gloria (Global Observation Research Initiative in Alpine Environments) koordiniert. Gloria befasst sich seit zehn Jahren mit der Erforschung der Hochgebirgsvegetation weltweit und hat derzeit auf fünf Kontinenten über 90 Forschungsstandpunkte.

„Gehen wir von einer Erwärmung um drei bis vier Grad Celsius aus, werden wir langfristig komplett bewaldete Berge haben, zumindest bis in eine Höhenlage von 2500 Metern“, so Pauli. Preisel- und Heidelbeere könnten zum Beispiel verstärkt in derzeit noch alpine Rasenregionen vordringen.

Besonders betroffen werden Teile Asiens sein, in denen die Gebirgspflanzen noch die Hausapotheke darstellen: Sie werden in der Himalaya-Region als Heilpflanzen genutzt. In den Hochgebirgen im Iran und im Mittelmeerraum sind dafür Bergpflanzen durch ihre kleinräumige Verbreitung in isolierten Gipfelzonen stark gefährdet.
Höhenstufen & Vegetation

Die alpine Vegetationszone legen Ökologen zwischen 2000 und 3000 Meter fest: Die Vegetation ist waldfrei, aber geschlossen, z.B. mit. alpinem Rasen und Polsterpflanzen.

Die nivale Höhenzone, über 3000 Meter,ist weitgehend schneebedeckt: Hier leben Moose, Pilze, Algen und Flechten.

»Ökoton« nennt man die (meist besonders artenreiche) Übergangszone zwischen zwei Ökosystemen: Die „Waldgrenze“ ist so ein Übergangsbereich, die „Schneegrenze“ ebenso.
in Zahlen

3.497 Meter ist der Schrankogel in Tirol hoch. Dort, an der Grenze zwischen alpiner und nivaler Vegetation (bei 3000 Meter), wurden nun die Pflanzen erforscht.

20 Meter nach oben gewandert ist die Grenze zwischen alpiner und nivaler Vegetation am Schrankogel in den Jahren zwischen
1994 und 2004.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.05.2011)
Quelle: http://diepresse.com/home/science/66409 ... e/index.do
ESWD | Weitere Funktion: ESWD User Support bei European Severe Storms Laboratory (ESSL)
ESSL > ESWD
Wetterstation 1030 Wien: https://www.ecowitt.net/home/index?id=79484
Antworten