Der 27.8. geht in die Wetterhistorie ein...

Diskussionen rund um Kurz- & Mittelfristprognosen und Wetterentwicklungen
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Exilfranke1

Samstag 27. August 2011, 20:18

das war der spannendeste, actionreichste und vielseitigste Kaltfrontdurchgang, den ich in den letzten 7 Jahren in Österreich erlebt habe.

Von Temperaturstürzen mit 30 K innerhalb 24 Stunden über Schneefallgrenzen-Absturz von 4500 auf 1500 m innerhalb 24 Stunden, von lehrbuchhafter Druckwelle nördlich der Alpen mit vordringendem Stratus über elevated storms in Westösterreich (bis Kammniveau Nordwind und Kaltluftadvektion, teils stürmisch, darüber aus Süd kräftige Gewitter), von Monsterzellen in den Süd- und Ostalpen bis markante Bora mit der überschwappenden Kaltluft (die als Voraussetzung in Österreich eben jenen Südwind in Kammniveau braucht).

Alles in allem ist der gestrige und heutige Tag ein Spiegel eines Lehrbuchs über zahlreiche Wetterphänomene

- Föhn
- Bora
- elevated storms
- Superzellen

das ist dermaßen beispiellos, da fehlen mir noch die Worte.
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chris-wels
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Samstag 27. August 2011, 20:30

...und dazu im Nordwesten (wo man denkt, da is alles gegessen, weil zu stabil), noch fette zahlreiche kracher aus irgendeinem amboss darüber heraus. das ganze zog sich über mehrere stunden.

lg chris
Schneeschauer, Regenschauer, Graupelschauer, Bierschauer
5072 Siezenheim, 431m [X] // 4600 Thalheim bei Wels OÖ, 317m [ ]
Gerald No2

Samstag 27. August 2011, 20:59

Was ich als Laie an der Sache nicht verstanden habe - warum ist es , zumindest in der Gegend NÖ/Wien/Donau (bodennah?), zuerst markant kälter geworden und dann erst sind, nachdem es schon einige Zeit (bodennah?) deutlich abgekühlt hat, die Gewitter gekommen? Teilweise war die Abkühlung, sofern ich mich richtig erinnere, sogar noch vor größerer Wolkenbildung merkbar.

Würde mich freuen wenn mir das jemand ein bisschen erläutern könnte oder einen Link parat hat.

thx!
Exilfranke1

Samstag 27. August 2011, 21:52

http://www.skywarn.at/forum/viewtopic.php?f=9&t=10690" onclick="window.open(this.href);return false;

vielleicht hilft das weiter.
chris-kapfenberg
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Samstag 27. August 2011, 22:03

Guten Abend!

Markant auch die dzt. mächtige Gewitterlinie die knapp nördlich der Adria bis zur Nordsee reicht (!). Da sieht man auch das Ausmass dieser Luftmassengrenze.

L.G., chris-marein
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wetterfreak vbg
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Sonntag 28. August 2011, 00:06

wobei in Vorarlberg eigentlich so gut wie nichts los wahr außer Föhn(sturm)
Lg. Michael , 21 :oe

Dornbirn 413 m.ü.A./Innsbruck 574 m.ü.A.
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Nebelkrähe
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Sonntag 28. August 2011, 00:09

Die Abkühlung fand ich auch heftig und interessant hier in Wien.
LG Doris
Eichgraben/ 286 Höhenmeter
Die Natur versteht keinen Spaß,sie ist immer wahr,immer ernst, immer strenge,sie hat immer recht,und die Fehler und Irrtümer sind immer des Menschen.
Goethe
Exilfranke1

Sonntag 28. August 2011, 08:24

chronologisch:

Dienstag 1. Höhepunkt der Hitze, Monster-CAPE
Mittwoch stabiler, föhnig, Unwetter in OÖ (Blitzfeuerwerk)
Donnerstag outflowbedingt weniger heiß
Freitag 2. Höhepunkt, starker Föhn und Jahreshöchstwerte

Nacht auf Samstag:

- Gewitter überqueren die Schweiz
- Rekordtiefstwerte im östlichen Alpenvorland/Donautal
Samstagmorgen:

- Frühes Absinken der schneefallgrenze unter 2000 m in Vorarlberg
- Morgengewitter in Osttirol/Kärnten

Samstagvormittag:

- Gewitter in Vorarlberg/Nordtirol bei gleichzeitiger Kaltluftadvektion/Bora bis Kammhöhe (ELEVATED), teils Starkregen, kleinkörniger Hagel, viele positive Blitze,
- in Oberösterreich gleichzeitig Druckwelle mit vordringendem Stratus

Samstagmittag:

- am italienischen Alpenrand Bildung einer riesigen Superzelle, die sich auf dem Weg zu den Karnischen Alpen in ein Bogenecho umwandelt und am Karnischen Höhenweg den Nordteil verliert.

- Gewitter greifen bis nach Salzburg und Seengebiet aus

- Druckwelle erreicht Wien, steht zuvor lange Zeit genau am Wienerwald mit niedrigem Stratus um Luv (Aufbau großer Temperatur und Druckgegensätze auf wenigen Kilometern)

Samstagnachmittag:

- Bora greift auf die Alpensüdseite mit Böen von 80 bis 100 km/h über

- Auslösung von Unterkärnten bis Hochsteiermark (Suppenzellen)

- Druckwelle verstärkt sich im östlichen Flachland (auch eine Art Bora durch überschwappende Kaltluft über den Wienerwald bzw. zwischen Wienerwald und Leiser Berge)

Samstagabend

- elevated storms ziehen von der südlichen steiermark bis ins wiener becken, davon 1 Superzelle über Eisenstadt (97 km/h) und Bratislava (115 km/h)

*******

Die Morgenaufstiege gaben keine nennenswerten Gewitter hier, durchwegs sehr trocken. Aber: Anfeuchtung durch markante Trogachse in mittleren Schichten (vormittag: Ac un/cas im östlichen Flachland), Grenzschicht nahezu irrelevant wegen kompletter Entkopplung (was unterhalb 2-3 km passierte, interessierte die Gewitter nicht).
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Mathias
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Sonntag 28. August 2011, 09:18

- elevated storms ziehen von der südlichen steiermark bis ins wiener becken, davon 1 Superzelle über Eisenstadt (97 km/h)
da waren wir fast mitten drinn ;)
Liebe Grüße aus
Wien 1020
nadjap
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Sonntag 28. August 2011, 10:02

Was ich gestern nicht kapiert habe, dass die Zellen ausnahmslos mit dem Jet nach NNO gezogen sind. Die Modelle hatten das alle irgendwie net drinnen :?:
Klosterneuburg-Scheiblingstein, 487 m (gemessen mit NÖGIS), Wienerwald, Bezirk Wien Umgebung


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Exilfranke1

Sonntag 28. August 2011, 10:15

doch, doch. das war schon drin. verlagerung mit dem südwind nach norden, gleichzeitig verlagerung als ganzes nach osten .
gavris
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Sonntag 28. August 2011, 14:11

Danke Felix, ausführlich und interessant!

Waren es tatsächlich 30K Abkühlung in 24 Stunden - eher in etwas mehr als 30 oder?
Ist es bei derartig heftigen Kaltfronten überhaupt möglich, dass diese auch steiler hereinkommen oder prescht da die Kalftluft immer weit voraus?
Hätte man da im Satellitenbild gestern Nachmittag eine Bodenkaltfornt einzeichnen können und die Höhen-KF dahinter?

Vielleicht kann mir das wer beantworten :)
Lg, Stefan aus Ternitz
nadjap
Beiträge: 15205
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Wohnort: Klosterneuburg-Scheiblingstein, Wienerwald, 489m

Sonntag 28. August 2011, 15:02

Exilfranke hat geschrieben:doch, doch. das war schon drin. verlagerung mit dem südwind nach norden, gleichzeitig verlagerung als ganzes nach osten .
Wäre etwas, was man u.U. auch im Forecast einbauen könnte ... Soll ja primär als Chaser-Leithilfe dienen ;)
Klosterneuburg-Scheiblingstein, 487 m (gemessen mit NÖGIS), Wienerwald, Bezirk Wien Umgebung


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WsKF

Sonntag 28. August 2011, 15:08

Danke Felix für den Bericht, war gestern echt ein Wahnsinn. *wind*
Exilfranke1

Sonntag 28. August 2011, 19:27

ich will zu dem ganzen ereignis ne fallstudie machen. wann und ob ich dazu komme, is ne andere frage ;)
Helmut Graz
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Sonntag 28. August 2011, 19:35

Auch von mir ein Danke, wirklich super immer Deine Erklärungen. Was ich eigentlich nicht gewußt habe, daß man die überschwappende Kaltluft auch bei uns als Bora bezeichnen kann, war mir ja nur von der kroatischen Adriaküste bekannt.

Aber natürlich warum nicht, ist ja das gleiche Wetterphänomen.
lg Helmut Kalsdorf b. Graz
Exilfranke1

Sonntag 28. August 2011, 23:10

Bora heißt einfach nur kalter wind, so wie föhn/favonius warmer wind.

entsprechend gibt es föhn bei jedem gebirge oder mittelgebirge, hat halt regional andere namen (rockys: chinook, karnische alpen: jauk), es gibt auch Bora am Schwarzen Meer. die Bora in Österreich ist halt so unbekannt wie Nordföhn im Inntal.

denn der physik ist egal, ob die kaltluft über die alpen schwappt, oder über die dinariden. auch gibt es Malojawinde nicht nur am Malojapass, sondern auch am Arlbergpass oder an anderen Pässen. Spezifische Phänomene haben also ähnliche oder identische Ursachen.
soniccc

Sonntag 28. August 2011, 23:15

Ich finds ja Interessant das die Kroatische Bora zu einen der stärksten Winden der Welt zählt.

Erreichte Spitzenwerte: Maximalwerte wurden in Triest mit 231,5 km/h, Krk 69,0 m/s = 248,4 km/h, Makarska 69,5 m/s = 250,2 km/h.

Das wäre dann schon ein Hurrikan der Stufe 3-4. Natürlich ohne diese Wassermassen.
Exilfranke1

Montag 29. August 2011, 00:22

Voraussetzung sind horizontale Unterschiede in der (potentiellen) Temperatur, die entsprechend ein
Druckgefälle erzeugen. Die Temperaturunterschiede sind durch folgende Faktoren verstärkt:

-ein Küstengebirge blockiert die vom Kontinent anströmenden Kaltluftmassen
-die Meeresoberflächentemperaturen sind deutlich höher als die Landtemperaturen (ALPERS ET AL. 2007)
- begleitende Niederschläge im Luv des Küstengebirges (Verdunstungskälte)
- tiefe Bewölkung auf der Luvseite tagsüber verhindert solare Erwärmung der kalten Luftmasse

Im Fall von Adriabora begünstigt also eine große synoptisch-skalige Druckdifferenz zwischen einem Hoch über Mitteleuropa und einem Tief über der südlichen Adria bzw.dem italienischen Stiefel die östliche Anströmung des Dinarischen Küstengebirges.

Eine Besonderheit der adriatischen Bora sind die ausgeprägten gap flows (schnelle Strömungen durch Gebirgseinschnitte), welche zu sehr heftigen Böen im unmittelbaren Lee der Dinariden führen. Maximale Windgeschwindigkeiten über 200 km/h sind keine Seltenheit und werden in Slowenien und Kroatien wiederholt (u.a. an Autobahn-Messstationen) registriert, z.B. am 24. Dezember 2003: 304 km/h nördlich von Zadar.

Die Intensität der gap flows hängt nach ARAKAWA (1969) ab von...

-Breite des Gebirgseinschnitts
-vertikale Mächtigkeit der durchströmten Schicht (begrenzt durch Föhn/Borainversion)
-Luvgeschwindigkeit ("upstream velocity")

--- schaun mir mal auf die Bora am Samstag:

-ein Küstengebirge blockiert die vom Kontinent anströmenden Kaltluftmassen => ALPEN
-die Meeresoberflächentemperaturen sind deutlich höher als die Landtemperaturen (ALPERS ET AL. 2007) => präfrontal
- begleitende Niederschläge im Luv des Küstengebirges (Verdunstungskälte) => Gewitter Alpennordseite
- tiefe Bewölkung auf der Luvseite tagsüber verhindert solare Erwärmung der kalten Luftmasse => (Niederschläge)

alles gegeben, was Bora unterstützt, einschl. der kalten Luftmasse. die für Bora notwendige stabile Schichtung
machte die entkoppelte Südwindschicht.
Exilfranke1

Montag 29. August 2011, 01:28

http://www.wetterturnier.de/phorum5/rea ... 7#msg-7287" onclick="window.open(this.href);return false;

lesenswert Georgs schilderung.
gavris
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Wohnort: Ternitz

Montag 29. August 2011, 22:52

Hallo!

Ich nehme mal an je enger ein Tal und je mächtiger eine vertikale Schicht, desto heftiger sind die Böen?
Lg, Stefan aus Ternitz
Exilfranke1

Montag 29. August 2011, 23:29

gavris hat geschrieben:Hallo!

Ich nehme mal an je enger ein Tal und je mächtiger eine vertikale Schicht, desto heftiger sind die Böen?
fast. eher: je geringer die vertikale schicht (venturi-effekt).
Gerald No2

Dienstag 30. August 2011, 13:44

Danke für die Erläuterungen und Links - werd's durchackern ;-)
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