Sommer vs. Normal
Der Streit über die richtige Zeit
Am Sonntag sind die Uhren noch einmal um eine Stunde zurückgestellt worden. Wahrscheinlich werden die Österreicherinnen und Österreicher das nicht mehr allzu häufig tun müssen. Denn bis April haben sich die EU-Staaten festzulegen, ob sie dauerhaft bei Sommer- oder Normalzeit bleiben wollen. Ein Zeitumstellungschaos ist dabei nach wie vor nicht ausgeschlossen.
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Am Montag und Dienstag werden die Minister für Verkehr, Telekommunikation und Energie der EU-Länder in Graz zu einem informellen Rat zusammenkommen, um genau darüber zu debattieren. In einer Aussendung der Regierung im August hieß es noch, Österreich tendiere zur dauerhaften Sommerzeit. Ein Sprecher des Verkehrsministeriums wollte das gegenüber ORF.at nun aber nicht mehr bestätigen. Er sagte, eine endgültige Entscheidung gebe es für Österreich noch nicht, man wolle das Treffen in Graz abwarten. „Da werden wir weitersehen“, so der Sprecher.
Im Sinne des Ratsvorsitzes wolle man die Rolle des neutralen Verhandlungsführers übernehmen und die Stimmen aller Vertretungen anhören, „damit wir das einheitlich hinbekommen“ – einheitlich für alle EU-Länder also. Ob die gewünschte Einigung wirklich zustande kommt, ist aber völlig unklar. Wahrscheinlich ist hingegen, dass Österreich am 31. März 2019 noch ein Mal auf die Sommerzeit umstellen wird und möglicherweise ein weiteres Mal auf die Normalzeit. Denn dass es bereits am Montag oder Dienstag zu einer Lösung kommt, wie die Länder künftig verfahren werden, gilt als unwahrscheinlich.
„Ein Thema, das jeden betrifft“
Eine EU-Einigung wäre jedenfalls sinnvoll, um einen Fleckerlteppich an Zeitzonen zu vermeiden. Denn, so heißt es auch aus dem Verkehrsministerium: „Es ist ein Thema, das jeden betrifft.“ Als besonders beeinträchtigend kündigt sich ein etwaiges Zeitumstellungschaos im Infrastruktur- und Logistikbereich an. Bei den ÖBB will man noch abwarten und keine vorschnellen Schlüsse ziehen.
ORF.at/Christian Öser - Bahnhof am Praterstern mit einer Uhr
Sollte es zu keiner Einigung in der EU kommen, könnte das besonders Fahrpläne und Logistik vor Herausforderungen stellen
ÖBB-Pressesprecherin Juliane Pamme vertraut indes auf eine EU-Lösung, die auch im Sinne der Bundesbahnen ist. Was genau das für die Zusammenarbeit mit den Bahnunternehmen der Nachbarländer heißen könnte, beispielsweise mit der Deutschen Bahn (DB) und den Schweizerischen Bundesbahnen (SBB), sei noch nicht absehbar, so Pamme zu ORF.at: „Wenn eine Entscheidung fällt, dann werden wir uns danach richten“, gibt sich die ÖBB-Pressesprecherin diplomatisch.
Einstweilen heißt es für die ÖBB „Business as usual“. So wie immer verlief am Sonntag die Umstellung auf die Normalzeit um 3.00 Uhr, damit auf Österreichs Bahnstrecken und Bahnhöfen alles glattgeht. Rund 4.000 Uhren hätten die ÖBB „auf die Sekunde genau“ umgestellt, das laufe aber mittlerweile größtenteils automatisch „im Halbminutentakt“, so Pammer. Hinzu seien – wie auch in anderen Unternehmen – PC-Server und Rechner gekommen, die aktualisiert wurden.
Über 99 Prozent nahmen nicht an Umfrage teil
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hatte eigentlich vor, einen Schlussstrich unter den seit Jahren geführten Streit über den Sinn oder Unsinn der Zeitumstellung zu ziehen. Derzeit scheint jedoch das Gegenteil der Fall: Die Debatte dürfte sogar noch Fahrt aufzunehmen. Ende August war Juncker mit der Idee vorgeprescht, die Zeitumstellung im Jahr 2019 abzuschaffen und hatte sich auf eine Onlineumfrage unter EU-Bürgerinnen und -Bürgern berufen.
Sonnenaufgang und -untergang am Beispiel Wien und Bregenz, bei derzeitiger Regelung sowie bei Sommerzeit bzw. permanenter Winterzeit
Grafik: APA/ORF.at; Quelle: APA/ZAMG
Dabei stimmten 84 Prozent für eine Abschaffung der Zeitumstellung im Frühjahr und Herbst und für eine Beibehaltung der Sommerzeit. Doch hatten nur 4,6 Millionen Menschen an der Befragung teilgenommen, davon waren etwa drei Millionen aus Deutschland. In der EU leben aber mehr als 500 Millionen Menschen. Insgesamt hatten sich also über 99 Prozent nicht an der Onlineumfrage beteiligt. Ob die Befragung repräsentativ für die Meinung der Bevölkerung der Europäischen Union ist, ist deshalb fraglich.
„Sich an ehrgeizigen Plan halten“
EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc sagte vor einem Monat, sie fordere das EU-Parlament und den Rat auf, sich an „diesen ehrgeizigen Zeitplan zu halten“. Bulc machte aber auch klar, dass das nicht bedeute, dass in der gesamten EU entweder Normal- oder Sommerzeit bleiben werde. Das könne jeder Staat für sich entscheiden, wobei sich die Länder aber koordinieren sollten. „Die Entscheidung, ob ein Land dauerhaft Sommerzeit oder Winterzeit haben will, liegt in der Zuständigkeit des Mitgliedsstaates. Ganz eindeutig“, so die Kommissarin.
Kritiker und Kritikerinnen der Zeitumstellung bringen ein, diese erfülle ihren ursprünglichen Zweck nicht. Eingeführt wurde die Sommerzeit 1973 in Europa nämlich anlässlich der Ölkrise. Das Vorstellen der Uhr im Frühjahr sollte zum Energiesparen in der hellen Jahreszeit beitragen. Die Überlegung war, dass, wenn sich der Tag um eine Stunde nach vorn „verschiebt“, weniger Beleuchtung und damit weniger Strom verbraucht werde. Doch die angeblichen Energiespareffekte sind kaum nachweisbar.
Alte Debatte neu aufgerollt?
Besonders zeitgemäß ist diese Begründung immerhin nicht mehr. So entfallen Berechnung zufolge in Mitteleuropa nur etwa zehn Prozent des Stromverbrauchs in einem Durchschnittshaushalt auf die Beleuchtung. Viel größer sind etwa die Prozentanteile für Informationstechnik wie Fernsehgeräte und Computer (ca. 30 Prozent) sowie andere Haushaltsgeräte.
Grafik zur Zeitumstellung
Grafik: ORF.at/APA/; Quelle: APA
Die aktuelle Zeitumstellungsphase wurde in Österreich erst 1979 wegen verwaltungstechnischer Probleme eingeführt, um Verkehrsprobleme mit den Nachbarländern zu vermeiden – ein ähnliches Problem also, das rund um die Vereinheitlichung der Zeit auch aktuell in der EU wieder diskutiert wird. Schon vor 1979 gab es zwei Phasen, in denen zweimal pro Jahr an der Uhr gedreht wurde: das erste Mal 1916 bis 1920, ein zweites Mal 1940 bis 1948.
Heute gibt es in der EU drei Zeitzonen. In Österreich wie in 16 weiteren EU-Staaten gilt die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) bzw. im Sommer die Mitteleuropäische Sommerzeit (MESZ) – darunter sind Deutschland, die Niederlande, Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, Kroatien, Polen und Spanien. Acht Länder – Bulgarien, Estland, Finnland, Griechenland, Lettland, Litauen, Rumänien und Zypern – sind eine Stunde voraus: Dort gilt die OEZ bzw. OESZ. Drei Staaten sind eine Stunde zurück, nämlich Irland, Portugal und Großbritannien, wo die WEZ bzw. WESZ gilt.
Christina Vogler, ORF.at