Stress-Produzenten

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Exilfranke1

Samstag 20. Juli 2013, 19:25

An einem Urlaubstag einkaufen zu gehen, ist vergleichbar mit dem Besuch eines exotischen Landes. Plötzlich existiere ich nicht mehr für andere - ich stehe sprichwörtlich neben mir,. und schaue mir dabei zu, in der Parallelwelt verzweifelt Fuß zu fassen.

Ich hatte Mühe, mich von der Hektik der arbeitenden, einkaufenden Bevölkerung nicht anstecken zu lassen. Gemütlich vor den Regal schlendern wird zum Ding der Unmöglichkeit - ständig spüre ich den nächsten Rastlosen im G'nack, die zum Einkaufswagerl fleischgewordene Ungeduld in den Kniekehlen, der raue Atem hungriger Workaholics strolcht durch die Gänge. Zeit wird für mich plötzlich zur Nebensache, ich lasse drängelnde Aspiranten vor, ja selbst beim Abzählen der Münzen fehlt der gesunde Hausverstand, der zur Eile mahnt, denn bis zum ersten "Heast oida!" ist es bei betonter Lässigkeit nicht mehr lange hin.

Stress und ein mangelnder Überschuss an Langeweile kennzeichnet sich auch durch das Hinabrennen der fahrenden Rolltreppen, manchmal geradezu ein Hinabspringen. Wehe dem, der sich wagt, auf die falsche Seite der Treppe zu stellen, und das Verpassen der einfahrenden U-Bahn zu provozieren. Wutschnauben beim Blick auf die Bim-Minuten, die viel länger dauern als reale Minuten. Es sind Zukunftsminuten, keine Gegenwartsminuten. Die Zukunft war auch schon mal kürzer.

Sich den Weg eigenmächtig verlängern? Wo kämen wir denn da hin? Nun, woandershin, aber dennoch zum Ziel. Ich wähle bewusst das langsamere Verkehrsmittel, um mich selbst zu entschleunigen. In der Bim lässt sich wunderbar Gemeindebau üben, also Leute aus dem Fenster heraus beobachten. Zeitung lesen, ganze Buchseiten verschlingen, nicht nur auf sie starren - wie im Park -, um von niederen Instinkten abgelenkt zu werden. Bim fahren ist Zeitluxus pur, gefilterte Hektik. Wer Bim fährt, mag nicht ankommen wollen. Jedenfalls nicht so bald. Alle fünfzig Meter zudem hält die Bim an einer Ampel. Autofahrer haben Vorrang. Wo kämen wir denn dahin, wenn Autofahrer keinen Vorrang hätten? Dann wäre die Bim eine zweite U-Bahn, nur oberirdisch. Dann wäre das langsamste Verkehrsmittel nur mehr der Bus, der dann gar keinen Vorrang mehr hätte, und somit zum Parkplatz der gestrandeten Zeitlosen wird.

Stress der drängelnden Autofahrer. Stress der drängelnden Radfahrer. Stress auf der mariahilflosen Straße, in der sich Fußgänger gegenseitig anrempeln, weil ein Geschäft nach dem anderen aus einer Straße keine Einkaufsstraße macht. Als ob sich die Besitzer der high-end price shops keine höheren Lieferkosten leisten könnten. Stress wird hausgemacht: Parkplatzsuche, Radwegkollisionen, ahnungslose Touristen. Bewegungsstress, in der Bewegung Stress haben. Da ist Urlaub wichtig, einen Gang zurückzuschalten, andere beim sich stressen zu beobachten. Sich selbst beim entstressen zu beobachten.
Wetterhexe

Samstag 20. Juli 2013, 20:26

Sehr gekonnter und auch witziger, lebendiger Text, Felix. Hast Du beruflich mit Schreiben zu tun?
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